Der 8.Oktober 2021 war ein besonderer Tag für Gensungen – nicht nur, weil in diesem Ort zum ersten Mal Stolpersteine verlegt wurden. Dieser Tag bleibt vor allem deshalb in Erinnerung, weil die Kinder und Enkelkinder der vier Menschen, an die von nun an gut sichtbar erinnert werden soll, mit ihren Familien dabei waren. Die Familien Weinstein und Weinstein-Feiner waren extra aus Brüssel angereist, um die Heimat von Julius, Frieda. Max und Alfred Weinstein kennenzulernen und um nun, nach einer langen Wartezeit, zu wissen, dass ihre Vorfahren dort nicht mehr in Vergessenheit geraten. Die vier messingfarbenen Pflastersteine, die der Künstler Gunter Demnig vor dem Haus in der Eppenbergstraße 7 verlegte, bezeugen dies: Man wird hier zukünftig über die Weinsteins stolpern.

Familie Weinstein mit Dr. Dieter Vaupel sowie Schülerinnen und Schüler

 

Möglich wurde die Veranstaltung vor allem durch das unermüdliche Engagement Dr. Dieter Vaupels, der   zu den Lebenswegen der Weinsteins forschte und einen regen Kontakt zu Michelle Weinstein-Feiner und Laurent Weinstein aufgebaut hat. Partnerschulen für die Stolpersteinverlegung fand er schnell. So kam es, dass die Fuldatal-Schule aus Melsungen, die Bundespräsident Theodor Heuss-Schule und die Erich Kästner-Schule in Homberg und wir von der Drei-Burgen-Schule Schülerinnen und Schülern entsandte, die jeweils ein Mitglied der Weinsteins vorstellten.

Max Weinstein

Für die DBS arbeiteten 25 Schülerinnen aus den Klassen 9 und 10 vorbereitend mit, um Max Weinstein, den älteren der beiden Söhne der Familie, vorzustellen und um zu zeigen, was die Stolpersteinverlegung für sie bedeutet. In Kleingruppen entstanden Textbausteine, die dann zu einem gemeinsamen Präsentationstext zusammengefasst wurden. Wie verlief das Leben Max Weinsteins vor und nach der Flucht aus Gensungen? Wie wirkt sein damaliges Elternhaus heute auf uns? Hätte sein Leben auch ganz anders verlaufen können? Was bedeutet es, ohne seinen Vater wegzugehen, von anderen Familienmitgliedern getrennt zu werden, sich verstecken zu müssen, um zu überleben, sich eine neue Heimat suchen zu müssen? Was erhoffen wir uns von den neu verlegten Stolpersteinen? Was wollen wir den Kindern und Enkelkindern aus unserer ganz persönlichen Sicht sagen? Und was würden wir Max Weinstein selbst gerne sagen, wenn das möglich wäre? – Solche Fragen stellten sich die Schülerinnen und Schüler. Ihre Antworten, zusammengefasst in einer Textcollage, präsentierten neun von ihnen auf der Treppe des Wohnhauses. Auch die anderen Schülergruppen hatten vielfältige Formen gefunden, um an Julius, Frieda und Alfred Weinstein zu erinnern. Sie präsentierten Plakate mit Steckbriefen, Bildcollagen, Filmsequenzen, innere Monologe und szenisch dargestellte Dialoge, um ihre Annäherung an Familie Weinstein zu verdeutlichen. – So entstand nach und nach das Bild einer Familie, deren Heimat einmal Gensungen war und die wegen ihres jüdischen Glaubens gezwungen war, zu flüchten.

Alle beteiligten Schülerinnen und Schüler

Wie wichtig es ist, sich und uns -stellvertretend für viele andere Schicksale – an die Geschichte der Weinsteins zu erinnern und ihre Geschichte zu würdigen, zeigten die sehr persönlichen und emotionalen Reden von Michelle Feiner und Laurent Weinstein am Ende der Veranstaltung. Spätestens jetzt erkannt jeder, dass dieser Tag sehr bedeutsam war. Es würde spürbar: sich mit Geschichte und Geschichten zu beschäftigen bedeutet weit mehr, als etwas über frühere Zeiten zu wissen. – Sich mit Geschichte und Geschichten zu beschäftigen bedeutet auch, etwas zu verändern – bei sich selbst und bei denen, deren Geschichten erzählt werden.

Die vier verlegten Stolpersteine

 

Für Tom, einen der Schüler aus der DBS-Projektgruppe, waren die verschiedenen Vorträge zu den Familien das Wichtigste an dieser Veranstaltung. Ihn beindruckte besonders, dass die Weinsteins vor Ort waren und den Schülerinnen und Schülern zuhörten. Dieter Vaupel bestätigte diese Einschätzung: „Mir ist keine Stolpersteinverlegung in der Region bekannt, an der so viele Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Schulen aktiv beteiligt waren. Auch die besondere Qualität und die Intensität der Auseinandersetzung mit dem Thema sowie die Vielfalt der daraus entstandenen Beiträge ist außergewöhnlich. Im Bewusstsein der Familie Weinstein hat gerade die Teilnahme so vieler junger Menschen eine zentrale Rolle gespielt.“

Projektgruppe: Leo Tentrop, Collin Engelking, Marie Meier, Greta Oesterheld, Emilia Stiegel, Jule Bürger, Alina Gilch, Anastasia Fabrizius, Leni Horstmann, Benedikt Birkenbeil, Finn Bormann, Jona Simon, Paul Tielmann, Michael Möller, Nicolas Braun, Hannes Trömmner, Diego Jacob, Felix Hitschfeld, Collin Giese, Eike Dephilipp, Max Hellwig, Hannes Eiling, Saaduddin Nejat, Tom Riese, Nico Klein, Niels Bartscherer